Tipps zum Umgang mit Gesangsübungen

Wer sich mit Stimmbildung auseinandersetzt, gewöhnt sich schnell an Übungen, die für Laien ungewohnt, komisch und manchmal etwas peinlich sein können. Kleine Kinder, die ohne Klangvorstellung an die Entdeckung der Stimme herangehen, können das ohne voreingenommen zu sein und sind ein grossartiges Vorbild.

Wie beim Sport benötigt die Muskulatur Wiederholung, bis sie kräftiger wird. Um die Stimme fit zu halten, empfehle ich, sie 3 bis 6 Mal pro Woche zu trainieren. Warm up und Cool down gehören zweifellos zum Training. Die Übungssequenzen dürfen kurz (3-10 Minuten), aber nicht länger als 45 Minuten sein. Wer mehr trainieren möchte, sollte Pausen einbauen und/oder mehrmals am Tag üben.

«Es gibt keine guten Übungen, nur gutes Üben.» Paul Lohmann

1. Wenn es unangenehm ist, ändere etwas!

2. Experimentieren statt repetieren! Lernen heisst, Parameter kreativ zu verändern, genau zu beobachten, was anders ist und die beste Möglichkeit zu suchen – immer wieder und in allen möglichen Bereichen (wie Positionierung, Bewegung, Geschwindigkeit, Atmung, Pausen, Mimik, Aussprache, …).

3. Stimmtraining – wie jedes andere Training auch – bedingt Regelmässigkeit. Lieber wenige Minuten mit voller Konzentration üben (resp. eben experimentieren) als einmal pro Woche eine Stunde lang Übungen repetieren. Unser Belohnungssystem mag es, wenn du das und deine Lernfortschritte irgendwie (bspw. in einem Übungsplan) festhältst.

4. Das Instrument des Sängers ist der Körper. Gewöhne dich sehr konsequent an eine bewusste Körperhaltung.

5. Pausen sind wichtig! Dein Körper, deine Stimme, aber auch deine Konzentration ermüden. Dann schleichen sich Fehler ein, die du einübst, wenn du keine Pause einlegst. Idealerweise nutzt du die Pausen für Lockerungs- oder Entspannungsübungen.

6. Bei Körperübungen empfiehlt es sich, einen kurzen «Bodyscan» vor und nach der Übung durchzuführen und das Körpergefühl zu vergleichen. Wer sich intensiver mit Körperwahrnehmung auseinandersetzen möchte, kann ergänzend auch Schulen wie Feldenkrais, Alexandertechnik, «Eutonie Gerda Alexander», Ideokinese, Schlaffhorst-Anderson oder «Der erfahrbare Atem» nach Mittendorf, … beiziehen.

«Don’t concentrate, be aware.» Noam Renen

7. Sei dir bewusst, wofür du Übungen machst. Es gibt bspw. wunderbare Übungen, die dir helfen, deinen Atem oder deine Stimme kennenzulernen, jedoch auf der Bühne ungeeignet wären. Sensibilisierung ist wichtig für die Grundlagen, unter Stress aber schwer abzurufen (und umgekehrt). Lege dir Strategien zu, die auch im Extremfall noch funktionieren.

8. Ich empfehle, beim Üben mental zwischen «Forscher» und «Ästhet» zu unterscheiden. Du kannst dir sogar zwei Plätze einrichten, an dem du jeweils nur als «Forscher» oder als «Ästhet» übst.

Forscher: Wenn neue Techniken und Übungen ausprobiert werden, darf und soll die Klangbeurteilung völlig ausser Kraft treten. Es geht ausschliesslich darum, das Neue zu entdecken, es möglichst wertfrei zu beobachten («Kleinkind-Modus»). Erlaube dir, hässlich zu klingen!

Ästhet: Tritt unsere emotionale, musikalische Seite in den Vordergrund, darf der Techniker in uns zurücktreten. In diesem Moment spielt es keine Rolle mehr, ob ein Ton ganz sauber angesetzt war – es geht ausschliesslich um musikalischen Ausdruck, um das Gefühl beim Singen, um das Loslassen der Konzentration. Diesen Zustand streben wir auch auf der Bühne an.

Es ist völlig normal, dass sich – vor allem am Anfang – immer wieder derjenige einmischt, der nichts zu sagen hätte. Der «Forscher» jammert, dass der Ton nicht perfekt gehalten wurde, wenn es eigentlich um den musikalischen Ausdruck geht, der «Ästhet» findet bei technischen Übungen, dass es nicht «schön» klingt. Wie beim Meditieren kann man dann versuchen, sich wieder zu fokussieren und die «Sprechstunde des Anderen» auf später zu verschieben.

9. Keine Onlinekurse ersetzen einen guten Coach oder Lehrer, der dir direktes und auf dich abgestimmtes Feedback geben kann.

10. Metaphern und Analogien (sogenannte «somatische Marker») sind in der Pädagogik deshalb so beliebt, weil sie einen Gedächtnisinhalt emotional aufladen und er damit deutlicher aufgenommen und schneller gespeichert werden kann. Wenn dir also etwas besonders gut gelingt, versuche es mit einem eigenen Bild, einem Duft oder einem Körpergefühl zu verknüpfen. So kannst du mit der Zeit schnell auf Ausdruck oder Einstellungen zurückgreifen.

11. Glaube niemandem – keinem Lehrer, keinem Buch, keinem Video, nicht einmal deinen eigenen Ohren während dem Singen (stattdessen empfehlen sich Aufnahmen!). Sei offen für deren Inputs, aber finde für dich heraus, was sich am besten anfühlt. Überprüfe auch deine eigenen erworbenen Grundsätze immer wieder kritisch und mit Entdeckerfreude.

12. Achte darauf, dass du einen Ort hast, wo du hemmungslos komische Geräusche und unschöne Klänge von dir geben kannst. Sorge dafür, dass der Raum, in dem du übst, ruhig und frei von Ablenkungen ist. Mach es dir bequem (je nach Übung sogar im Trainer) und richte deine Umgebung so ein, dass du dich wohlfühlen und entspannt sein kannst.

Viel Spass!

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